Meinungsäußerung zum Artikel " Ein offenes Wort an alle Maine Coon Züchter" von Laurie Wellborn

Genpool der Maine Coon

von Raymonde Harland erschienen in "katzen extra"5/97

Zu den anderen Artikeln

Erfahrungen, wie sie L. W. in ihrem Leserbrief beschreibt, als sie ein 100% Outcross-Tier für ihre Zucht suchte, dürften viele Züchter aller Rassen gemacht haben: Geht man in den Stammbäumen nur weit genug zurück, stellt man Verwandtschaften und Inzucht fest

L. W. zieht daraus zwei Schlußfolgerungen:

1. Der Genpool der Maine Coon ist zu klein, es besteht die Gefahr einer baldigen Inzuchtdepression

2. Dieser Gefahr kann man begegnen, wenn man noch einmal mit der Zucht beginnt und sich Foundationtiere holt.

Diese Schlußfolgerungen sind nur z. T. richtig, denn was ist überhaupt Zucht? Zucht ist nicht der Wettlauf nach dem weitest möglichen Outcross, sondern die gezielte Verpaarung mit der Absicht, die genetische Struktur einer Population in Richtung auf das Zuchtziel zu verändern. Zucht ist nicht nur eine gezielte Auswahl der Elterngeneration durch Festlegung der Zuchtmethode, sondern auch die Selektion in der Kindergeneration. Alle Zuchtmethoden bedingen eine Abweichung von der Zufallspaarung. Zu den Zuchtmethoden gehört seit Jahrhunderten die Inzucht. Ein Bauernsprichwort sagt: " Inzucht in der Hand des Unwissenden ist wie ein Rasiermesser in der Hand eines Affen".

Zoe the Fabulous, Maine Coon

Die Methode der Inzucht birgt in der Tat spezielle Gefahren, dagegen hilft Information und das Verstehen der genetischen Vorgänge.

Unter Inzucht versteht man die Verpaarung von Tieren, die innerhalb der letzten sechs Generationen gemeinsame Vorfahren haben. Also:

- Inzestzucht 1.und 2. Grades zwischen Geschwistern, Eltern + Kind, Großeltern + Enkel

- enge Inzucht 3. und 4. Grades, Onkel + Nichte, Tante + Neffe, Vetter + Base

- mäßige Inzucht, 5. und 6. Grad, entferntere Verwandte in den letzten sechs Generationen

Inzucht bedeutet Ahnenverlust, d. h. ein Abweichen von der Zahl der möglichen Vorfahren. Die Gefahr des Ahnenverlustes ist, daß die Tiere sich genetisch immer ähnlicher werden . Einerseits ist dies gewollt, denn so können sich die Tiere im Typ immer ähnlicher werden. Andererseits bietet eine hohe Heterozygotie den besten Schutz vor dem Ausbruch genetischer Defekte und Krankheiten. Zu diesem Zweck wurde von der Natur die sexuelle Fortpflanzung erfunden, bzw. hat sie sich durchgesetzt.

In jeder Population gibt es ca. 1 % defekte Gene, auch in der genetisch bunt gemischten Population von Straßenkatzen. Dieser Prozentsatz abweichender Gene entsteht durch natürliche Mutation, ohne die wiederum nie verschiedene Arten von Lebewesen entstanden wären. Durch Zufallsverpaarung gleichen sich diese Gene, da sie ja zur Hälfte von beiden Elterntieren stammen, meistens wieder aus. Dies bedeutet nur, daß sie selten sichtbar werden, vorhanden sind sie trotzdem!

Loewen.jpg (31529 Byte) Löwen, der weitestmögliche Outcross?

Bei der Verpaarung von verwandten Tieren treffen nun häufiger, als bei der Zufallsverpaarung abweichende Gene und gleiche Gene zusammen. Das heißt, die guten und schlechten Eigenschaften werden gleichzeitig fixiert. Dagegen kann der Mensch mit der Methode der Nachkommenselektion eingreifen. Dazu braucht es Zeit. Erfolgt der Abfall des Heterozygotiegrades zu schnell durch Inzestzucht 1. und 2. Grades, erhält man zwar eine schnelle Fixierung der guten Eigenschaften z. B. des Typs, aber auch eine schnelle Fixierung der schlechten Eigenschaften, z.B. Knickschwanz. Verpaart man allerdings weiter entfernte Verwandte miteinander, so fixieren sich die guten Eigenschaften langsamer und der Züchter hat genug Zeit, durch Nachkommenselektion die negativen Eigenschaften zu eleminieren. Um es noch einmal ganz deutlich zu sagen: Erbfehler u.a. schlechte Eigenschaften entstehen nicht durch Inzucht. Inzucht ist nur der Detektiv, der diese ohnehin ca 1% vorhandenen Gene aufspürt und sichtbar macht.

Mandela the Fabulous, Maine Coon

Für die Art der langsamen Senkung des Heterozygotiegrades braucht man eine Population, die groß genug ist. Bei 4 Katern und 4 Katzen benötigt man z.B. 18,9 Generationen um eine Fixierung der gewollten Eigenschaften wie bei einer Geschwisterverpaarung nach 3 Generationen zu erreichen, s. Paarungsdiagramm (nach Robinson ). Die erste Generation von Maine Coon Foundation war größer und wurde laufend ergänzt bis zur Anerkennung der Rasse und der Schließung der Novizenklasse vor rund eineinhalb Jahrzehnten. Leider wurde dann nur mit wenigen Linien weiter gezüchtet. Auch später vergrößerte sich das Genpotential. So ist z. B. nachweislich weder das Gen für dominantes Weiß W noch das Gen für Abbessiner Taby Ta bei den alten Foundationlinien vorhanden. Da dominante Gene wie W und entwicklungsgeschichtlich so alte Gene wie Ta nicht vom Himmel fallen, aber in der heutigen Maine Coon- Population vorhanden sind, können sie nur durch Einkreuzung fremder Rassen dorthin gelangt sein, auch wenn dies aus den Stammbäumen nicht ersichtlich ist. Dies bedeutet, daß das tatsächliche Genpotential größer ist, als das offiziell dokumentierte. Das Genpotential von anderen Rassen war zu Beginn der Zucht wesentlich kleiner als bei den Maine Coon, ohne das es bis heute das Aus für diese Rassen bedeutet hätte.

Die Beantwortung der Frage, ob sich der Genpool der ursprünglichen Foundationtiere in den einzelnen Linien durch natürliche genetische Drift und durch Einkreuzung anderer Rassen soweit auseinander entwickelt hat, das er groß genug ist -oder ob sich der Genpool durch zu viele Inzuchtverpaarungen verkleinert hat, kann endgültig nur durch Labor-Analyse der DNA nachgewiesen werden.

 Ferrero Kiss the Fabulous, Maine Coo

Wenn L. W. mit Tieren züchtet, die vor 10 Generationen gemeinsame Vorfahren haben, ist dies eine sehr geringe Inzuchtrate und birgt an sich keine Gefahren einer Inzuchtdepression. Die Anzeichen einer Solchen, wie erhöhte Anfälligkeit für Infekte, Auftreten genetischer Defekte, die L. W. in den USA beobachtet, liegen in der mangelnden Beachtung der Selektion. Hier sind tatsächlich Fehler gemacht worden. Die Weiterzucht mit fast jedem Tier in der Hand unwissender Vermehrer hat viel Schaden angerichtet.

Ein von L. W. nicht beachteter Umstand, ist die in den USA übliche Haltung von Zuchttieren in Käfigen. Tiere, die nie den Themperaturschwankungen und der frischen Luft ausgesetzt werden, sind anfällig für Infekte. Tiere, die nicht im engen Zusammenleben mit Menschen aufwachsen, sind häufig aggressiv. Bei Massenzüchtern werden auch genschädigende Medikamente, Insektizide und Desinfektionsmittel häufiger eingesetzt.

Können die bisher gemachten Fehler durch den Neubeginn mit Foundations ausgeglichen werden? Dazu eine Überlegung zum Genpool der halbwilden Katzen in Maine. Diese Katzen entstammen der gleichen Population, wie die Katzen der alten Foundationlinien. Es gibt viele Vermutungen, wie das Gen für Langhaar nach Maine gelangen konnte - es war auf keinen Fall eine Masseninvasion! Langes Haar ist im rauhen Klima von Maine sicher ein Selektionsvorteil, doch für die Natur kein Grund die Mutation des Gens für Haarlänge von L in l auf jeder einzelnen Farm in Maine zu wiederholen. Da l ein rezessives Gen ist, kann es sich durch Verwandtenverpaarung zeigen, ausbreiten und durch natürliche Selektion durchsetzen. Die Tatsache weniger Ursprungstiere muß jedoch kein Nachteil sein, wenn sich der Genpool durch natürliche Drift und Einkreuzungen erweitert hat (s.o., genau so, nämlich durch Gendrift und natürliche Selektion haben sich alle heute lebenden Katzenarten und Rassen aus den ersten Felidaen im Tertiär vor über 50 Millionen Jahren entwickelt).

Der Genpool der heute in Maine lebenden "wilden Maine Coon" unterscheidet sich also nicht völlig von den Foundation-Katzen der alten bekannten Linien. Ein 100% Outcross ist durch diese nicht möglich!

Maine Coon

Der Aufbau neuer Foundation Linien ist sinnvoll, wenn man in den nachfolgenden Generationen nicht die Fehler der mangelnden Selektion wiederholt. Wenn eben nicht mit jeder Katze wahllos gezüchtet wird. Und wenn man die über Foundation gezogenen Tiere wieder mit den alten Linien kreuzt, um den Typ der Maine Coon zu erhalten. Die wenigen Foundation-Cats, die bis jetzt nach Deutschland gekommen sind, dokumentieren in ihren Stammbäumen leider hohe Inzestzuchtgrade. Es sind Produkte von Testverpaarungen, die beim Aufbau von Foundation- Linien sinnvoll sind, mit denen aber nicht weiter gezüchtet werden sollte. L. W. sagt ganz richtig, daß diese Nachkommen alle kastriert werden müssen, wenn der genetische Hintergrund eines Paares ausgetestet ist.

Eine Erweiterung des Genpools durch Foundation tut jeder Katzenrasse gut, um sie robust zu erhalten. Die Durchführung eines solches Projektes ist nur in der Zusammenarbeit von gut informierten und erfahrenen Züchtern zu erreichen, die eine konsequente Selektion betreiben, damit nicht genetische Probleme in die Population eingeschleppt werden, und die die unnötige ständig wiederkehrende Inzestzucht vermeiden. Insofern stimme ich L. W. zu.

Völlig unsinnig wäre es, wenn massenhaft Züchter nach Maine aufbrechen, um die letzten halbwild lebenden Maine Coon einzufangen, damit sie ihre eigenen Linien mit "frischem Blut" versorgen.

 

5 Thesen

1. Am Anfang einer jeden Rassezucht steht ein kleiner Genpool und viele Inzuchtverpaarungen. Beispiele: Goldhamster nur ein Paar, Ragdoll nur drei Tiere

2. Inzucht ist nur eine Methode unter Vielen, die verantwortungsvoll angewendet werden muß.

3. Selektion ist die wichtigste und sanfteste Zuchtmethode, die langfristig den größten Erfolg bringt.

4. Outcross in andere Rassen oder Foundationlinien sind für die Erweitung des Genpools von allen Rassezuchten sinnvoll, wenn in den Nachzuchtgenerationen strenge Selektion erfolgt.

5. Die Natur ist in jedem Fall der bessere "Züchter" durch zufällige Verpaarung und strenge Selektion. Menschen können nur versuchen durch veranwortungsvolle Anwendung von Züchterwissen möglichst wenig Schäden anzurichten auf dem Weg zu ihrem Zuchtziel.